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16. Juni 1953 - Teil 2

Die Demonstrationen sind durch diesen Politbüro-Beschluß nicht mehr zu beeinflussen. Gegen 14.00 Uhr versammeln sich Tausende von Menschen vor dem Haus der Ministerien in der Leipziger Straße. Die Demonstranten verlangen die Regierung zu sprechen. Doch im Haus der Ministerien rührt sich zunächst nichts.

Die Unruhe unter den Demonstranten wächst, die Rufe nach Ulbricht und Grotewohl werden lauter und fordernder. Statt dessen versuchen der Minister für Schwerindustrie, Fritz Selbmann, und Robert Havemann die Demonstranten zu beruhigen, doch sie finden kein Gehör; die Arbeiter sind ihres Parteigeredes überdrüssig.

Zeitzeugenbericht von Martin Hartung, parteiloser Angestellter im Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen in Berlin, über die Demonstration am 16. Juni [P. Lange/S. Roß (Hg.), 17. Juni 1953 - Zeitzeugen berichten, Münster 2004]

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In dieser Situation setzt jemand aus der Menschenmenge ein Handlungszeichen, das sich wie ein Lauffeuer verbreitet: Wenn Grotewohl und Ulbricht nicht mit uns reden wollen, dann gibt es Generalstreik! Für die versammelten Menschen ist das eine klare Orientierung; sie ziehen vom Haus der Ministerien wieder in Richtung Alexanderplatz, allerdings über einen Umweg: Durch die Friedrichstraße geht es zur Wilhelm-Pieck-Str., vorbei am Sitz des Zentralkomitees der SED, dem Zentrum der Macht. Unterwegs wird über einen Lautsprecherwagen, den sie erobert haben, verkündet: Morgen Generalstreik! Treffpunkt: Strausberger Platz, um 7.00 Uhr!

Der Demonstrationszug kehrt dann zu seinem Ausgangspunkt, den Baustellen in der Stalinallee, zurück. Das Lagezentrum der Volkspolizei meldet um 17.05 Uhr: "Starke Auflösungserscheinungen des Demonstrationszuges. Bauarbeiter begeben sich in ihre Baubuden."

Doch entgegen aller Hoffnungen der Volkspolizei dauert es noch Stunden, bis im Osten Berlins Ruhe einkehrt. Immer wieder sammeln sich Diskussionsgruppen; jetzt sind es überwiegend Jugendliche, die neue Demonstrationszüge bilden. Die Volkspolizei vermeldet zwischen 17.30 und 22.00 Uhr zahlreiche Menschenansammlungen und Demonstrationen in der Stärke zwischen 200 und 1.000 Personen. Die sozialen Forderungen haben längst eine politische Dimension erreicht: "Nieder mit der SED!" oder "Nieder mit den Sowjets, wir brauchen keine Steuerschlucker, wir brauchen Butter!"

Schon um 13.30 Uhr berichtet RIAS Berlin erstmals in seinen Nachrichten über die Demonstrationen. Drei Stunden später bringt RIAS als erster deutscher Sender einen ausführlichen Bericht über das Geschehen in Ostberlin. Eine Arbeiterdelegation hat das Funkhaus aufgesucht, um die Forderungen der Bauarbeiter und den Aufruf zum Generalstreik zu verbreiten. Doch der RIAS läßt den Aufruf zum Generalstreik sein, sendet ab 19.30 Uhr in seinen Nachrichten nur eine Resolution mit folgenden Forderungen: "1. Auszahlung der Löhne bei der nächsten Lohnzahlung bereits wieder nach den alten Normen; 2. Sofortige Senkung der Lebenshaltungskosten; 3. Freie und geheime Wahlen; 4. Keine Maßregelungen von Streikenden und Streiksprechern."

Eberhard Schütz, der Programmdirektor des RIAS, kommentiert die Ereignisse am frühen Abend als "Sieg, den unsere Ostberliner mit der gesamten arbeitenden Bevölkerung der Sowjetzone teilen". Das Ende der totalitären Herrschaft werde von der Ostberliner Bevölkerung als erreichbar angesehen. Sein Kommentar kulminiert in dem Aufruf: "Macht Euch die Ungewißheit, die Unsicherheit der Funktionäre zunutze. Verlangt das Mögliche, - wer von uns in Westberlin wäre bereit, heute zu sagen, daß das, was vor acht Tagen noch unmöglich schien, heute nicht möglich wäre. [...]. Jeder einzelne unserer Hörer muß für sich selbst wissen, ob die Umstände seiner persönlichen Situation in seinem Betrieb es ihm erlauben, den Widerstandswillen der Bevölkerung der Zone auszudrücken, jeder einzelne muß wissen, wie weit er gehen kann." Der Kommentar wird in der Nacht zum 17. Juni mehrfach wiederholt.

Eberhard Schütz, der deutsche Programmdirektor des RIAS, kommentiert die Ereignisse in Ostberlin. 16.6.1953 (RIAS Berlin)

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